15 Jahre danach – Ein Rückblick auf Intel

Kürzlich las ich die Nachricht, dass Pat Gelsinger, ehemaliger CEO von VMware, nun CEO von Intel werden wird, dem Unternehmen, für das er bereits zwischen 1979 und 2009 gearbeitet hat. Er selbst nannte es sogar “nach Hause zu Intel kommen”. Das erinnerte mich daran, dass ich Intel vor fast genau 15 Jahren verlassen habe, nachdem ich dort 16 Jahre lang gearbeitet hatte. Ich habe mich sehr gefreut, als ich von Pats Schritt hörte, denn ich hatte immer großen Respekt vor ihm und ich bin mir sicher, dass er Intel wieder als Technologieführer positionieren kann. Ich bin deswegen sehr zuversichtlich, denn Pat repräsentiert für mich immer noch die Intel-Kultur, die das Unternehmen vor allem in den 1990er Jahren so erfolgreich gemacht hat. In den letzten 15 Jahren, seit ich mich aus persönlichen Gründen entschieden hatte, das Unternehmen zu verlassen, ist mir sehr oft bewusst geworden, wie stark mich diese Intel-Firmenkultur beeinflusst hat und noch immer viele meiner Entscheidungen und Handlungen leitet.

Der amerikanische Weg

Wenn ich in den letzten Jahren einen Vorschlag gemacht habe, der auf meinen Erfahrungen als Manager bei Intel basierte, musste ich des Öfteren Kommentare hören wie “wir sind keine US-Firma und wir wollen auch nicht so sein”. Ich verstehe, dass es gerade in den letzten vier Jahren einige gute Gründe gegeben haben mag, skeptisch gegenüber vielem zu sein, was aus den USA zu uns herüberkam. Aber verrückte Tweets eines mittlerweile Ex-Präsidenten haben absolut nichts mit amerikanischen Unternehmen zu tun und schon gar nichts mit ihrer Art, Geschäfte zu machen und ihre Organisationen zu führen. Ich kann natürlich nicht für alle amerikanischen Unternehmen, aber zumindest für eines von ihnen sprechen, das möglicherweise die meisten ganz gut repräsentiert. Ich kann auch nur für das Unternehmen sprechen, das ich zwischen 1990 und 2006 kennengelernt habe. Über die letzten 15 Jahre kann ich nicht wirklich etwas sagen. Also, was habe ich da gelernt? Zunächst einmal, dass eine starke Orientierung und Fokus auf Ergebnisse keineswegs Teamwork und einen guten Teamgeist ausschließen muss. Erstaunlicherweise gibt es immer noch die weit verbreitete Meinung, dass sich Ergebnisorientierung nicht mit Spaß an der Arbeit vereinbaren lässt. Bei Intel war damals “Results Orientation“ einer der niedergeschriebenen Werte des Unternehmens, aber das galt ebenso für „Have Fun“. Und ich kann bestätigen, dass ich und meine Teams eine Menge Spaß hatten. Wir haben unseren Job wirklich geliebt und gleichzeitig haben wir unsere anspruchsvollen Ziele immer erreicht oder sogar übertroffen.

Reinvestieren in die Zukunft

Intel machte zu jener Zeit enorme Gewinne. Natürlich gab es eine Dividende für die Aktionäre, aber der größte Teil des Gewinns floss in Forschung und Entwicklung und ebenso in den Bau neuer Wafer-Fabriken, die Milliarden von Dollar kosteten. Darüber hinaus investierte Intel auch in seine Mitarbeiter. Nicht nur durch Zahlung guter Gehälter und Gewinnbeteiligungen in Form von Mitarbeiter-Boni und Aktienoptionen, sondern auch durch das Angebot exzellenter Trainings und durch persönliche Entwicklungspläne, um Karrierepfade aufzuzeigen und somit gute Leute im Unternehmen zu halten. Dazu gehörte auch ein formeller Nachfolgeplanungsprozess für potenzielle neue Manager oder bestehende Manager, die den nächsten Schritt machen wollten oder sollten. Der Prozess der Mitarbeiterbeurteilung zur Jahresmitte und am Jahresende war für das Management-Team immer ziemlich intensiv. Aber rückblickend war es die Mühe absolut wert, um den Aufbau leistungsstarker Teams zu unterstützen und individuelle Entwicklungsmöglichkeiten herauszuarbeiten. Ich persönlich hatte in 16 Jahren bei Intel 9 verschiedene Jobs. Zuletzt war ich Geschäftsführer der deutschen Niederlassung und Vertriebsleiter für Europa. Musste ich dafür mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten? Definitiv ja, aber es hat mir einfach Spaß gemacht, und wenn ich meinen Job mag, dann schaue ich nicht auf die Uhr – solange ich mich belohnt fühle, vor allem emotional, aber auch finanziell.

Andy Grove

Während meiner Anstellung bei Intel hatte ich die Chance, acht Jahre lang unter Andy Grove als CEO zu arbeiten. Ich habe natürlich nicht direkt für ihn gearbeitet, aber in dieser Zeit konnte man seine Führungsqualitäten auf allen Ebenen der Organisation spüren, und wenn man ihn traf, wusste man, warum ihn die Leute auch heute noch eine charismatische Führungspersönlichkeit nennen. Andy war sicherlich kein einfacher Charakter. Er war sehr anspruchsvoll und oft brutal direkt, vor allem wenn es um jede Art von schlechter Performance ging. Aber sind nicht alle erfolgreichen Unternehmensführer, die ihr Unternehmen kontinuierlich nach vorne gebracht haben, sehr anspruchsvoll? Heute spricht jeder über OKRs (= Objectives and Key Results). Die OKR-Methode basiert eigentlich auf den iMBOs (Intel Management by Objectives), die von Andy Grove bei Intel eingeführt wurde. Ein weiteres Lieblingsthema von Andy, an das ich mich nicht nur erinnere, sondern das auch meinen beruflichen Werdegang bis heute stark beeinflusst hat, ist die Theorie des “Strategic Inflection Point”, des strategische Wendepunkts. Andy schreibt darüber in seinem Buch “Only the Paranoid Survive”, das nichts von seiner Aktualität verloren hat, obwohl es bereits 1996 erschienen ist.

Der strategische Wendepunkt

Die IT-Industrie ist eine sehr schnelllebige und sich schnell verändernde Branche und es gibt unzählige Fallbeispiele, die uns die Theorie des strategischen Wendepunkts vor Augen führen. Ein berühmtes Beispiel ist Nokia, einst Marktführer bei Mobiltelefonen. Als das Nokia-Management noch das Rekordjahr 2007 feierte, hatte Apple mit der Einführung des ersten iPhones bereits die Erfolgsgeschichte des Smartphones eingeläutet. Dies war der Anfang vom Ende für Nokias Handygeschäft. Wie viele andere zu dieser Zeit nutzte auch ich ein Nokia-Modell nach dem anderen und es war unvorstellbar, dass sich schon wenige Jahre später niemand mehr an Nokia als Handymarke erinnern würde. Es war die neue revolutionäre Technologie von Apple, die den Markt komplett veränderte. Generell war Apple (fast) immer sehr gut darin, strategische Wendepunkte zu antizipieren, indem sie völlig neue Märkte geschaffen haben. Anstatt die Konkurrenz in einem “Red Ocean” zu bekämpfen, entdeckte Apple neue “Blue Oceans”. iPod, iPhone und iPad sind sehr gute Beispiele dafür.

Ständiger Wandel

Doch eine neue Idee, ein neues Produkt oder die Erschließung eines neuen Marktes reichen allein nicht aus. Fast immer geht ein Wechsel in der Geschäftsstrategie mit tiefgreifenden Veränderungen in der Organisation einher. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie viele Veränderungsprozesse ich bei Intel durchlaufen habe und auch wie viele ich in meinen jeweiligen Teams aktiv zu managen hatte. Das war nicht immer einfach, aber es war notwendig, um das Unternehmen auf einem stetigen Wachstumspfad und in einer führenden Position zu halten. Viele dieser Veränderungen waren schlichtweg durch Innovation getrieben. Ich höre und sehe heute viele Unternehmen, die viel über Innovation reden. Intel hat in jener Zeit überall und jeden Tag Innovation gelebt. In der Technologieforschung, in der Produktentwicklung, im Marketing, im Vertrieb, in der internen IT – einfach überall im Unternehmen. Sicher, viele der Ideen sind auch gescheitert und landeten im physischen oder digitalen Mülleimer. Aber andere wurden zu Meilensteinen in der Firmengeschichte wie beispielsweise die Centrino-Mobiltechnologie, die Xeon-Server-Prozessorlinie oder das berühmte Intel Inside Programm. Es war faszinierend zu sehen, wie Intel sich mehrfach neu erfand und immer den nächsten strategischen Wendepunkt als Start für die nächste Periode exponentiellen Wachstums nutzte. Von Speicherchips über Prozessoren zu Plattformen. Wie Andy Grove sagte: “Erfolg erzeugt Selbstgefälligkeit, Selbstgefälligkeit erzeugt Misserfolg. Nur die Paranoiden überleben.” 

Der amerikanische Weg – warum nicht?

Zum Schluss möchte ich noch einmal auf die eingangs zitierte Bemerkung zurückkommen, dass man “nicht wie ein US-Unternehmen sein will”. Warum würde jemand so etwas wirklich sagen? Warum möchte jemand nicht für ein innovatives und erfolgreiches Unternehmen arbeiten, das danach strebt, in seinem Marktsegment führend zu sein? Warum möchte jemand nicht einen persönlichen Karriereweg in dem Unternehmen aufgezeigt bekommen, für das er oder sie gerne arbeitet? Und warum sollte jemand nicht am finanziellen Erfolg des Unternehmens teilhaben wollen? Wie schon gesagt kann ich nicht wirklich beurteilen, wie sich die Kultur bei Intel zwischen 2006 und heute entwickelt und verändert hat. Aber aus meiner Sicht hat das Unternehmen in der Zeit, in der ich dort war, einen vorbildlichen Job gemacht. Ich bin auch heute noch sehr froh darüber, dass ich ein Teil davon sein durfte.

Ich bin mir sicher, dass Pat Gelsinger etwas von diesem ursprünglichen Geist und dieser Kultur zurückbringen wird. Zumindest konnte ich das zwischen den Zeilen in seinen jüngsten Aussagen lesen. Ich wünsche ihm und Intel alles Gute für die kommenden Jahre!

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